Kommentar |
Dass Prag ein Schlüsselort für die deutschsprachige Literatur ist, dürfte jedem bekannt sein. Kafkas internationaler Ruhm hat der Stadt nachhaltig einen zentralen Platz auf der Landkarte der deutschsprachigen Moderne gesichert. Und es dürfte auch bekannt sein, dass Kafka in seiner Zeit in Prag nicht alleine stand, sondern Teil einer regen, produktiven und vielfältigen deutschsprachigen Szene war; Max Brod, Gustav Meyrink, Leo Perutz, Viktor Hadwiger sind nur einige weitere Namen. Nicht immer aber wird in diesem Zusammenhang die kulturelle und politische Situation Prags angemessen mit einbezogen, das ja beispielsweise 1918 von einer österreichischen Stadt (in der die deutschsprachige Minderheit gegenüber der tschechischsprachigen Bevölkerung eine politisch und kulturell dominierende Stellung einnahm) zur Hauptstadt der neugegründeten Tschechoslowakei wurde. Freilich: 1975 haben Gilles Deleuze und Félix Guattari ihr Konzept einer Kleinen Literatur (Pour une littérature mineure, 1975) genau in Bezug auf die Prager Situation entworfen. Das SE will sich die Beziehungen zwischen deutschsprachiger und tschechischer Kultur in der Stadt anschauen. ‚Beziehungen‘ meint dabei sowohl kulturelle Verflechtungen als auch allfällige Gesten der Abgrenzungen. Geplant ist, sich dabei auf zwei historische Konstellationen zu konzentrieren: den Beginn des 19. Jahrhunderts mit der böhmischen Nationalbewegung und den Anfang des 20. Jahrhunderts um die Gründung der Tschechoslowakei herum. Kafka wird im SE eine gewisse Rolle spielen – er wird aber nicht im Zentrum stehen. |