Kommentar |
Der Begriff “wasteland” oder “Brache” deutet oftmals auf ein entleertes, unproduktives oder verlassenes Terrain, das nicht bewohnt oder unbewohnbar erscheint. Gleichzeitig fungieren urbane Brachen als künstlerische und wissenschaftliche Experimentierfelder. Sie sind Repositorien der Stadtgeschichte und Refugien spontaner Natur. Der High-Line Park in New York und der Berliner Park am Gleisdreieck zeigen eine Brachenästhetik, die als neues Element im Landschaftsdesign immer einheitlicher erscheinende Stadträume in eine Aura des Ungewöhnlichen tauchen soll. Die Pariser Bidonvilles und die toxischen Stadtlandschaften in post-Hurrikane Houston verdeutlichen, wie Brachflächen zu Zonen der Segregation, Verarmung, Umweltzerstörung und des strukturellen Rassismus werden. Brachen sind umstrittenen Orte der aktivistischen Auseinandersetzung mit der sozialen und ökologischen Zukunft der Stadt. Bürgerinitiativen kämpfen gegen das bevorstehende Verschwinden dieser Lücken im Stadtraum angesichts des steigenden Spekulations- und Bebauungsdrucks. Brachen erzeugen Heterotopien und queere Ökologien; als autonome Räume sind sie Teil der feministischen „commons“ Bewegung und fordern die bestehende Organisation des Lebens heraus.
Dieses Projektseminar gibt eine Einführung in aktuelle theoretische Ansätze zu kulturellen und wissenschaftlichen Aspekten urbaner und industrieller Brachen. Themenfelder sind unter anderem Definitionen und Terminologien, konzeptionelle Zugänge mit denen Brachflächen erforscht werden, unterschiedliche Landschaftsdesigns, die mit der Ästhetik spontaner Natur arbeiten und zeitgenössische künstlerische und aktivistische Praktiken.
Fragen, die in diesem Seminar diskutiert werden, sind u.a.: Was ist die Zukunft der Brachen? Welche Rolle spielen Brachen als Ersatzorte des öffentlichen Lebens und als Refugien der Biodiversität? Welche räumlichen und kulturellen Praktiken werden mit Brachen assoziiert? Welche Bedeutung haben Brachen als autonome Räume und als Zonen des städtischen Aktivismus? Wie werden Diskurse über Brachen, die sich in einem europäischen Kontext entwickelt haben, aus der Perspektive des sogenannten globalen Südens gesehen?
Neben inhaltlichen und theoretischen Grundlagen werden Studierende qualitative Forschungsmethoden kennenlernen und durch eigenständige Forschungsprojekte zum Thema Brache anwenden. |
Literatur |
Bargmann, Julia, Toxic Beauty: A field guide to derelict terrain, Princeton Architectural Press, Princeton, 2006.
Demos, T.J., Against the Anthropocene: Visual Culture and Environment Today, Sternberg, Berlin, 2017.
Di Palma, Vittoria, Wasteland: A History, Yale University Press, New Haven, 2017.
Federici, Silvia, Re-Enchanting the World: Feminism and the Politics of the Commons, Oakland, CA: PM Press, 2019.
Gandy, Matthew, Marginalia: Aesthetics, Ecology, and Urban Wastelands, Annals of the Association of American Geographers 103 (6), 2013 : pp. 1301-1316.
Gandy, Matthew & Jasper, Sandra, Natura Urbana: The Brachen of Berlin, film with an accompanying book, ERC, Brussels, 2017.
Genske, Dieter & Hauser, Susanne (eds.), Die Brache als Chance, Springer, Berlin, 2003.
Lachmund, Jens, Greening Berlin. The Co-Production of Science, Politics, and Urban Nature, The MIT Press, Cambridge, MA, 2012.
Till, Karen, Interim Use at a Former Death Strip? Art, Politics, and Urbanism at Skulpturenpark Berlin_Zentrum, in Silberman, M. (ed.) The German Wall, Palgrave Macmillan, New York, 2011, pp. 99-122. |