Kommentar |
Ob literarische Texte etwas wissen und wie dieses Wissen in Literatur gelangt, ist eine intensiv diskutierte Frage der textinterpretierenden Disziplinen. Denn auch wenn Romane und Erzählungen, Gedichte und Dramen nie ohne Kenntnisse entstehen und zirkulieren, ist damit noch nicht geklärt, was ihr spezifisches Wissen ausmacht und was wir aus ihnen lernen können. Erinnert man sich zudem an den antiken Philosophen Platon und dessen Diktum, die Dichter würden lügen (und müssten deshalb aus dem idealen Staat herausgeworfen werden), zeigt sich, dass es um das Wissen der Literatur nicht ganz so einfach bestellt ist. – Das Seminar wird diesen weitreichenden Problemen nachgehen, in dem nach Diskussion unterschiedlicher Wissenskonzepte und Differenzierung von historischen Wissenskulturen kontextsensitive Analysen der Korrespondenzen von literarischen Gattungen und Erkenntnisformationen vorgenommen werden. Im Zentrum stehen exemplarische Konstellationen aus den Schwellenzeiten ‚um 1800‘, ‚um 1900‘ und ‚um 2000‘, in denen sich die Beziehungen zwischen Beobachten und Experimentieren, Beschreiben und Erklären, Darstellen und Erzählen nachhaltig ändern. Und das wird spannend: Verhandelt werden nicht nur Fragen nach dem Wesen des Menschen und den Möglichkeiten selbstbestimmten Handelns unter Bedingungen medientechnologischen Scheins (von Schillers Fortsetzungsroman Der Geisterseher bis Daniel Kehlmanns Ruhm), sondern auch literarische Modellierungen biologisch-physiologischer Prozesse (von Goethes Metamorphose der Pflanzen bis zu Durs Grünbeins Schädelbasislektion). Auf dem Plan stehen zugleich genaue Lektüren philosophie- und wissenschaftsgeschichtlicher Texte, die auch aufgrund ihrer ästhetischen Formierung und Darstellungsverfahren zu Klassikern avancieren konnten; ihr Spektrum reicht von Werken von Karl Marx und Charles Darwin bis zu Schriften von Friedrich Nietzsche und Sigmund Freud. Lektürepensum ist entsprechend intensiv, lohnt aber auf jeden Fall: Denn nun werden neue Zugänge zu den Struktur- und Wirkungsprinzipien epistemischer Dinge und literarischer Versuchsanordnungen ermittelbar – und produktiv erweiterte Umgangsformen mit ihnen möglich. Sämtliche Texte und Kontextmaterialien auf moodle. |