Kommentar |
Das Epos in der Gegenwart? Gibt es das denn überhaupt? – so könnte man fragen, wenn man sich an die nach 1800, von Hegel bis hin zu Georg Lukács weit verbreitete Position erinnert, dass das Epos in der Moderne aus geschichtsphilosophischen Gründen unmöglich geworden sei. Und tatsächlich wird der literarische Markt der Gegenwart überdeutlich von dem epischen Abkömmling der alten Gattung dominiert: vom Roman. Allerdings lässt sich den letzten Jahren doch von einem Comeback der Gattung sprechen – oder besser: von Texten, die auf unterschiedliche Weise mit dem Epos und seiner Geschichte in einen Dialog treten. In Deutschland aufsehenerregend war vor allem Raoul Schrotts Werk Erste Erde (2016), das die Entstehung des Universums erzählen will – und also mit einem Totalitätsanspruch auftritt, wie er traditionell mit dem Epos verbunden wird. Gleichzeitig aber erschien Ann Cottons Versepos Verbannt, das die eigentlich maskulinistische Gattung einer feministischen Revision unterzieht. Diese Reaktivierung der Gattung in dezidiert kritischem Interesse – sei es feministisch oder auch postkolonial – ist für die gegenwärtige Neubelebung des Genres dabei vielleicht typischer als Schrotts monumentale Geste. Das SE ist dezidiert komparatistisch angelegt. Es wird in die Geschichte der Gattung und in ihre Theorie einführen; neben den genannten Texten werden voraussichtlich u.a. solche von Hans-Magnus Enzensberger, Édouard Glissant, Sylvie Kandé, Alice Oswald und Derek Walcott auf dem Programm stehen.
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