Kommentar |
In den kulturpolitischen Debatten der letzten ein, zwei Jahre wurde ein Gegensatz zwischen „Identitätspolitik“ und „Klassenpolitik“ konstruiert. Antirassistische, feministische und queere Positionen wurden nun als „Mittelschichtsliberalismus“ entlarvt, der von den wirklichen sozialen Problemen der Menschen ablenke und die Reaktionsfähigkeit der Linken lähme. Stattdessen führe die Kulturpolitik der „Identitätsklinken“ bloß in eine „Moralfalle“ (so der Theatermann Bernd Stegemann) und tobe sich in Zensur und neuer Prüderie aus. Für uns Literatur- und Kulturwissenschaftler*innen ist es nun interessant, dass die Debatte oft auf einem dezidiert kulturellen, künstlerischen oder sogar literarischen Terrain ausgefochten wird. Der Streit um das Gedicht von Eugen Gomringer auf der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule in Hellersdorf kann hier als exemplarisch gelten. Von neuem stellt sich die Frage: Wie politisch kann ein Gedicht sein? Und wodurch wird Literatur, wodurch wird ein Gedicht – ein dezidiert unpolitisches zumal – politisch lesbar und kritisierbar? Im SE werden Positionen vorgestellt und diskutiert. Es geht dabei auch um eine Übung in gemeinsamer politisch-kultureller Urteilsbildung. |