Kommentar |
Das kirchliche Strafmittel des Lokalinterdikts im Sinne eines temporären Verbots seelsorgerischer Handlungen (Gottesdienst, Sakramente, kirchliches Begräbnis) in einem bestimmten räumlich abgegrenzten Gebiet (Kirche, Stadt, Diözese, Herrschaftsterritorium) nimmt in der Lebenswelt des lateineuropäischen Mittelalters einen festen Platz ein. Entstanden wohl um das Jahr 1000 im Kontext der südfranzösischen Gottesfriedensbewegung, betraf dieser häufig im Rahmen (kirchen-)politischer Konflikte verhängte Seelsorgeboykott zuweilen ganze Königreiche (z.B. England 1208-1214, römisch-deutsches Reich 1324-1347) oder auch einzelne Städte, teilweise über Jahrzehnte (z.B. Lübeck 1299-1317) und in bemerkenswerter Frequenz (etwa 17 Interdikte über Florenz zwischen 1100 und 1512). Die Legitimations- und Akzeptanzprobleme dieser Kollektivstrafe über mehrheitlich Unschuldige brachte nicht nur eine dichte Traktatliteratur zu Art, Umfang und Praxis der zu unterlassenden Handlungen hervor, sondern auch Widerstand und Selbsthilfe auf Seiten von Laien und politischen Herrschaftsträgern. Das Masterseminar wird nach einer einführenden Lektürephase diesen Zusammenhängen anhand einzelner Fallbeispiele nachgehen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf begleitende ökonomische Boykottmaßnahmen und Repressalien gegen interdizierte Städte und deren Kaufleute, die auch außerhalb des Strafraums Vertragssicherheit und Warenverkehr gefährdeten. |
Literatur |
Peter Clarke, The Interdict in the Thirteenth Century: A Question of Collective Guilt, Oxford 2007;
Martin Kaufhold, Gladius spiritualis. Das päpstliche Interdikt über Deutschland in der Regierungszeit Ludwigs des Bayern (1324-1347), Heidelberg 1994;
Richard C. Trexler, The Spiritual Power. Republican Florence under Interdict, Leiden 1974. |