Kommentar |
Der Roman Detransition, Baby von Torrey Peters hat bei seinem Erscheinen im vorvergangenen Jahr in der englischsprachigen Welt und in Deutschland im Frühjahr 2022 zumindest in der queeren Szene Furore gemacht (u.a. Titelstory im Missy Magazine 03/2022). Ich habe das Buch zusammen mit Nicole Seifert für Ullstein übersetzt. Kurz zum Inhalt: Eine trans Frau detransitioniert zum Mann, zeugt mit seiner Chefin ein Kind und fragt daraufhin seine Ex (eine trans Frau), ob sie mit ihnen zusammen das Kind großziehen würde. In elf rasanten Kapiteln, die zwischen der Zeit vor und nach der Zeugung springen, entspinnt Peters ein großes Panorama der Lebenswelt und (Alb)Träume von trans Menschen. Ich möchte am Beispiel dieses Romans mit Ihnen über die verschiedenen Aspekte beim Übersetzen queerer Literatur sprechen, von der Recherche der auch in Deutschland bereits gebräuchlichen Termini (sie sind im Englischen und Deutschen nicht deckungsgleich) über das Erfinden neuer Begriffe bis hin zur Frage des Gendersternchens und der Verwendung von Pronomina (wie übersetzt man „they“? „er*sie“ oder „dey“ oder „xier“ oder „they“ oder noch anders?). Wir sprechen anhand konkreter Beispiele über die Arbeit eines Sensitivity Readers und gehen der zuletzt vieldiskutierten Frage nach: „Wer darf was wie sagen / übersetzen?“ Diversität, Antidiskriminierung, Vielfalt, Gender, LGBTQIA+ sind gerade als Begriffe „in Mode“. Ich möchte mit Ihnen hinter die Begriffe schauen und untersuchen, was sie für den Übersetzerx bedeuten. Dazu möchte ich die Debatte auch auf verwandte Themenbereiche öffnen, etwa die Gorman-Debatte oder die Frage, als was Schriftsteller*innen gelesen werden, wenn sie nicht der „Norm“ entsprechen (zuletzt gab es dazu im Magazin der Süddeutschen Zeitung ein langes Interview mit mehreren Autor*innen). Texte wie z.B. Ethik der Appropriation von Jens Balzer (Berlin 2022) sollen dazu das theoretisch-begriffliche Fundament bilden. Weiße cis Menschen könnten Detransition, Baby gleichsam als Informationsbroschüre über trans Personen lesen. Torrey Peters selbst ist eine trans Frau und sagt, sie habe nur für ihre Freund*innen ein unterhaltsames Buch schreiben wollen. Welche Aspekte der Rezeption sind für die Übersetzerx relevant? Und weitergedacht: Wie übersetzen sie „Unübersetzbares“, etwa die ironische Verwendung des Adjektivs „transgender“ im Amerikanischen? Wie übersetzen sie den Humor? Wie „leicht“ oder „schwer“ sollte der Ton sein? Welchen Sound geben sie dem Buch? In welche Richtungen kann die Übersetzung stilistisch gehen? Wie entsteht Tempo, wie entstehen Gefühle wie Freude, Wut, Hass, Trauer bei den Leser*innen? Charakterzeichnung, Dialoge, Stil- oder Tempowechsel, alle diese allgemeineren Aspekte möchte ich auch gern im Seminar besprechen, da sie in diesem Roman eine besonders große Rolle spielen und zugleich etwas Universelleres über das Übersetzen sagen. Ich möchte Sie gern ausgewählte Stellen aus dem Roman übersetzen lassen und dann mit Ihnen über die genannten Aspekte diskutieren, immer auch im Vergleich zur publizierten Übersetzung. Anvisiert ist außerdem eine Sitzung mit Nicole Seifert und Torrey Peters, um ihre Perspektive auf das Buch, das Schreiben und das Übersetzen einzubeziehen. Denkbar wäre auch, die beiden Übersetzungen, die Nicole Seifert und ich von den ersten zwanzig Seiten des Buches unabhängig voneinander angefertigt haben, zu vergleichen. Zuletzt möchte ich mir mit Ihnen Übersetzungen von Kolleg*innen ansehen, z.B. von Stefanie Frida Lemke, die ein ganzes Buch übersetzt hat, ohne „man“ oder „jemand“ zu benutzen (und ohne dass die Lektorin es bemerkt hat). Oder eine Arbeit von Wibke Kuhn, in der sie nach einer geeigneten Übersetzung für „they“ gesucht hat, ein Pronomen für nicht-binäre Personen. Gute Englischkenntnisse sind von Vorteil, aber keine Bedingung. Es ist möglich, im Rahmen dieses Seminars eine Hausarbeit zu schreiben. Abgabetermin ist der 31.08.23. |