Die teils utopischen teils realistischen Erwartungen an die Fortschritte der KI wecken zugleich die Befürchtung, in nicht allzu ferner Zukunft könnten autonome technische Medien und Software Agents in die von Menschen geräumten aktiven Subjektpositionen einrücken. Dieser Angst zu begegnen, erfordert genau zu prüfen, wie sich Voraussetzungen und Anforderungen, Chancen und Risiken, Formen und Mittel der individuellen Persona-Bildung und Handlungsfähigkeit im Kontext der neuen Medien verändern. Daher setzt das Seminar drei Schwerpunkte:
(1) Personalitätsmodelle in medialer Perspektive; (2) Kriterien der Handlungsfähigkeit; (3) Korrelation von Personalitätsmodellen und Handlungsfähigkeit (agency im weiten, nicht ökonomisch verengten Sinn).
(1) Aktuelle Personalitätsmodelle haben sich unter Einfluss der Medien modifiziert und differenziert. Historischer Ausgangspunkt ist das unabgegoltene Vier-Personae-Modell des Stoikers Panaitios, das um verschiedene Versionen von Medien-Personae (Influencer, Spielerfiguren, virtuelle Personae wie u.a. Instagram-Avatare etc.) erweitert wird. Untersucht werden vor allem Darstellungsstrategien für Personalfiguren in unterschiedlichen Medienformaten, Figurenkonstellationen im Computerspiel, interaktive Ego-Alter-Tertius-Beziehungen.
(2) Maßgeblicher Konstitutionsfaktor der Persona-Bildung nach Panaitios ist das Prinzip der Selbstverantwortung, Hauptkriterium persönlicher Identität nach John Locke ist die Zurechenbarkeit der eigenen Handlungen. Im Horizont der jüngsten Medienentwicklungen rückt das Seminar daher die Handlungsfähigkeit in den verschiedenen Dimensionen von Individualität und Gesellschaftlichkeit, Primärerfahrung und medialer Vermittlung, Nützlichkeit und Funktionslust in den Mittelpunkt. Individuen agieren als soziale Akteure in unterschiedlichen Situationsrahmen und kommunikativen Kontexten, auf Objekt- und Metaebenen, in realen und fiktionalen Welten in unterschiedlichen Raum- und Zeitgestalten.
Die Ambivalenzen und Widersprüche individueller Handlungsfähigkeit haben in unterschiedlichen medialen Darstellungs- und Aktivitätsformen (Film, Quality-Serien in TV, Netz und Streamingdiensten, Computerspielen, Kommunikationsplattformen usw.) neue widersprüchliche Menschenbilder, Handlungsstrukturen auf unterschiedlichen Bezugsebenen, Konfigurationsbildungen und Personalitätsmodelle hervorgerufen.
Anhand relevanter Modellfälle aus unterschiedlichen Mediengattungen und –formaten sollen Aspekte von Agency in konkreter Analyse vorgestellt und diskutiert werden.
(3) Als weiterer Schwerpunkt ergibt sich das spannungsvolle Wechselverhältnis von Personalitätsmodellen und Handlungsfähigkeit, das auf der einen Seite von subjektiven Dispositionen, auf der anderen Seite von objektiven Handlungsmöglichkeiten bestimmt ist. Letztere haben sich durch die Digitalisierung scheinbar unbegrenzt erweitert, darüber werden zuweilen die Grenzen vergessen, die zuletzt immer erst im Zusammenstoß mit der harten Realität der Zwänge und Widerstände, der Krisen und Katastrophen erfahren werden. |