Kommentar |
“Daß Kunstwerke aus Materialien bestehen, daß diese an Wirkung und Bedeutung eines Werks beteiligt sind, tritt meist erst dann ins Bewußtsein, wenn der Kanon kunstwürdiger Stoffe gesprengt wird.”[1]
Mitte des 20. Jahrhunderts manifestiert sich in der west- und osteuropäischen Kunst eine Expansion des künstlerischen Werkstoffs. Avantgardistische Tendenzen der Nachkriegszeit wie das Informel kehren das tradierte Verhältnis von Material und Form um und nobilitieren den Farbstoff als einen eigenwertigen Gestaltungs- und Ausdrucksträger. Vertreter*innen der ZERO-Avantgarde überwinden Farbe in ihrer stofflichen Qualität und erweitern das künstlerische Material sowohl um industriell verarbeitete Stoffe wie Eisen oder Aluminium, als auch synthetische Stoffe wie Epoxidharz, Plexiglas und Polyethylen. Auch immaterielle und ephemere Naturelemente wie Licht, Luft, Feuer oder Wasser werden als Werkstoffe verwendet. Protagonist*innen wie Magdalena Abakanowicz oder Ritzi & Peter Jacobi erproben abstrakte Bildformen aus Webstoffen, abseits von tradierten funktionalen Zusammenhängen des Textilen. Mechanische Apparaturen operieren raumgreifende, kinetische Installationen, performative Arbeiten nehmen menschliche und nicht-menschliche Körper in den Blick und Künstler*innen der Sky- und Land Art setzen sowohl Kunststoffe als auch Erdstoffe für ihre spezifischen Werkformen ein.
Das Seminar führt exemplarisch in die Fülle der sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts etablierenden künstlerischen Materialien ein und untersucht deren Ausprägungen und Charakteristika in Bezug auf gattungs-, medien- und rezeptionsspezifische Aspekte. Auf Beispiele aus den 1950er bis 1970er Jahre begrenzt, geht das Seminar vordergründig den Fragen nach: Was ist das jeweils spezifische künstlerische Material? Wo ist seine Lokalisierung am Werk? Wie steht es dabei um seine Materialität? Mit Blick auf die Herkunft und die Produktionsbedingungen der verwendeten Materialien werden zudem Fragen nach Material-Ökologien und distribuierten Narrativen gestellt. Inwieweit wird das Material als handelnde Entität adressiert? Das Seminar verfolgt das Ziel, nicht nur beispielhaft vor Originalen die (kunst)historische Expansion künstlerischen Materials nachzuverfolgen, sondern davon ausgehend einen erweiterten Materialbegriff herauszuarbeiten; einen Materialbegriff, der als analytisches Werkzeug über die herangezogenen Exemplare hinaus für die Werkbetrachtung und -untersuchung anwendbar wird.
[1] Wagner, Monika: Vorwort, in: dies. (Hrsg.): Lexikon des künstlerischen Materials. Werkstoffe der modernen Kunst; von Abfall bis Zinn, München 2002, S. 7-10, hier S. 7. |
Literatur |
Dewey, John: Kunst als Erfahrung, Frankfurt a. M. 1980, (Art as Experience, Erstausgabe New York 1934).
Lippard, Lucy R.; Chandler, John: The Dematerialization of Art, in: Art International 2 (1968), S. 31–36.
Kemp, Wolfgang: Material der bildenden Kunst: zu einem ungelösten Problem der Kunstwissenschaft, in: Prisma, Gesamthochschule Kassel, Heft 9, 1975, S. 25-34
Ausst.-Kat.: Bildlicht. Malerei zwischen Material und Immaterialität, Museum Moderner Kunst Wien, 1991.
Jane Bennett, Lebhafte Materie. Eine politische Ökologie der Dinge, Berlin 2020 (Vibrant Matter: A Political Ecology of Things, Erstausgabe Durham 2010.
Raff, Thomas: Die Sprache der Materialien. Anleitung zu einer Ikonologie der Werkstoffe, München 2008
Wagner, Monika: Das Material der Kunst: eine andere Geschichte der Moderne, München 2001. |
Bemerkung |
Das Seminar findet in doppelten Sitzungen, montags, 14 bis 18 Uhr, an folgenden Terminen statt: 28.04., 05.05.; 26.05.; 23.06.; 30.06.; 07.07.; 14.07.2025.
Ort: Raum 3.30, Georgenstraße 47
Teilnahmebegrenzung: 30 Personen |