Die Lehrveranstaltung bezweckt im Lichte der Begriffe "Ethos" und „Kratos" das Rechtsstaatskonzept aus einer rechts- und staatsethischen Perspektive zu analysieren. Der Begriff Rechtsstaat ist ein Kompositum und besteht aus den Wörtern Recht und Staat. Recht kann hier als Ethos und Staat als Kratos verstanden werden. Das Rechtsstaatsprinzip legt einen großen Wert darauf, die Beziehung zwischen Recht und Staat zugunsten von Freiheit, Gleichheit und Menschenwürde zu gestalten. Deswegen bestimmt hier das Erstglied (Bestimmungswort) Recht das Zweitglied (Grundwort) Staat, oder anders gesagt, Ethos im weiteren Sinne legt hier den Rahmen für Kratos fest. Dabei entsteht das Konzept Rechtsstaat in Bedeutung von "rule of law" als Gegenteil von Staatsrecht, sprich "rule by law" oder "rule of men" oder "rule of state“. Ferner wird in Bezug auf die Beziehung zwischen Recht und Ethik, sprich Rechtsethik, zumal im Sinne ihrer normativen Ausprägung, das Recht auf seine Korrektheit oder Gerechtigkeit hin geprüft: was versteht man unter dem Begriff „richtiges und gerechtes Rechts“? Dabei analysiert die (normative) Rechtsethik kritisch das positive Recht, ob und inwiefern es mit dem „unverfügbaren“, sprich menschlich richtigen Recht oder der Gerechtigkeit in Übereinstimmung steht oder nicht. Sie geht dabei nicht mit einer analytischen Methode vor, die die formal-rationale und sprachlogische Struktur der Rechtssätze eruiert. Ihr Anliegen ist weniger der formale als vielmehr der materiale oder inhaltlich Aspekt des Rechts. Denn der Maßstab der Rechtsethik ist das ideale Recht. Hier wird die Frage erhoben, was man unter dem Terminus „richtiges oder ideales Recht“ im Rahmen des Grundgesetzes, bzw. der freiheitlichen demokratischen Grundordnung versteht oder verstehen soll.In der Beziehung zwischen Ethos und Kratos kann sich aber neben dem Kompositum Rechtsstaat auch eine andere Konstellation ergeben, nämlich die des Staatsrechts. Hier legt das Erstglied Kratos oder Staat den Rahmen für das Recht oder Ethos fest. Dieses Regierungsmodell in Form von "rule by law“ ist das Gegenspiel von „Rechtsstaat oder rule of law“ und ruft heute unter den autoritär-illiberal oder rechtspopulistisch orientierten politischen Kräften eine gewisse Affinität als Alternative zum freiheitlichen demokratischen Verfassungs- oder Rechtsstaat hervor. Infolge dieser Entwicklung tretet Ethos hinter Kratos zurück. Dabei nimmt die Bedeutung der Staatsräson peu a peu erneut unter den autoritär und/oder rechtspopulistisch orientierten Kräften zum Nachteil der bürgerlichen Freiheitsrechte zu. Das Streben des Staates nach Sicherheit und Selbstbehauptung wird unter Inkaufnahme von Verletzung moralischer und rechtlicher Normen hingenommen. Staatsethik, welche die Betonung vielmehr auf Ethos als auf Kratos legt, wird hier als Gegenargument zur Staatsräson ins Felde geführt.
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