Kommentar |
„Ich schreibe, ohne zu sehen. Ich bin gekommen. Ich wollte Ihnen die Hand küssen. Es ist das erste Mal, dass ich im Dunkeln schreibe, ohne zu wissen, ob ich Buchstaben bilde. Überall, wo nichts steht, sollen Sie lesen, dass ich Sie liebe.“ – Mit diesem Zitat eröffnet der französische Philosoph Jacques Derrida seine Schrift „Aufzeichnungen eines Blinden. Das Selbstporträt und andere Ruinen“ (1997). Diese (kunst)philosophische und theologische Schrift verfasste er gegen Ende seines Lebens, als er im Pariser Louvre eine Ausstellung mit Bildern und Zeichnungen seiner Wahl konzipieren durfte. Derrida wählte Gemälde und Zeichnungen aus, die um das Thema der Blindheit kreisen – und zu weiten Teilen aus der Bibel stammen; oder Selbstporträts von Künstlern darstellen. Derrida entdeckt an diesen Bildern die Blindheit nicht allein jener, die buchstäblich kein Augenlicht besitzen; sondern vor allem jener, die blind sind für eben dieses eigene, leibliche Augenlicht, das als solches nicht angeschaut werden kann. (Wie) Kann ich es dennoch berühren? Wer sich künstlerisch, philosophisch oder glaubend auf die Blindheit im eigenen Sehen einlässt, der opfert laut Derrida ein Stück weit sein Wissen-Können: so, wie es im Eingangszitat Diderot tut, um der Geliebten seine Liebe aussprechen zu können. Im Seminar werden wir Derridas Grenzgänge zwischen Kunst, Philosophie, jüdischer sowie christlicher Religion mitvollziehen - und sie, in theologisch krisenhaften Zeiten, auf unseren eigenen Glauben hin ausloten. |