Was geschieht, wenn die alleine regierende Königin von einem dahergelaufenen Helden zum Verzicht ihrer Macht gezwungen wird? Wieso dienen in der Literatur Trolle* und Ries*innen als Folien für sexuelle Gewaltfantasien? Und ist Fantasy-Literatur wirklich nur trivialer Schund, der zur Affirmation der patriarchalen, heteronormativen Gesellschaftsstruktur dient?
Den Fornaldarsögur Norðrlanda („Sagas aus der Frühgeschichte Skandinaviens“) wurde lange Zeit unterstellt, dass sie eine Form der altnordischen Trashliteratur seien. Aufgrund ihrer phantastischen Erzählwelten, die eine pseudo-historische Vorzeit abzubilden vorgeben, wurden die Fornaldarsögur lange von der Philologie als Schundliteratur abgetan, trotz oder vielleicht gerade aufgrund ihrer hohen Popularität im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit.
Im Seminar werden wir mehrere Fornaldarsögur lesen und deren Inhalt hinsichtlich der Frage nach der Bewertung von Literatur und ihrem kulturellen Einfluss diskutieren: Was ist gute oder schlechte, hohe oder niedrige Literatur? Welchen Einfluss haben literarische Texte auf die Gesellschaft und wie beeinflusst die Gesellschaft die Literatur im Gegenzug selbst? Können die Fornaldarsögur als Utopie oder Dystopie mit sozialkritischem Anteil gelesen werden? Sind Trolle* in den Fornaldarsögur ein Ausdruck vormoderner Queerness und hat die Figur der meykóngr eine protofeministische Funktion? Wird in den Fornaldarsögur Misogynie und sexuelle Gewalt verherrlicht oder werden solche Themen im Sinne einer Subversion behandelt? Und welche sozialen Normen werden diskursiv gesetzt, wenn diese literarischen Welten über unzählige Handschriften auf eine große Anzahl Rezipient*innen treffen.
Das Seminar soll uns dazu dienen, die Fornaldarsögur nicht bloß als literarische Gattung zu behandeln, sondern die darin vorkommenden fantastischen Welten als Bezugspunkte für die diese Welten schöpfende und rezipierende Kultur zu betrachten. |