Kommentar |
Im Gegensatz zum restlichen Europa, wo die Handschriftenkultur durch den Buchdruck abgelöst wurde, erlebte die Produktion von Handschriften auf Island ab dem frühen 17. Jahrhundert eine regelrechte Renaissance. Viele der heute als Vermittler genuin mittelalterlicher Texte aufgefassten Textträger sind uns jedoch einzig in Papierhandschriften quasi-mittelalterlicher Produktionsweise aus der "Renaissance der altnordischen Handschriftenproduktion" (17. – 19. Jahrhundert) überliefert, wobei nicht nur Handschriften, sondern auch gedruckte Bücher abgeschrieben wurden. Im Seminar werden wir uns einem hochkanonisierten Text der altnordisch-isländischen Litertaturgeschichte, der Íslendingabók, widmen. Die Íslendingabók gilt gemeinhin als ältester literarischer Text in altnordischer Sprache, obwohl das früheste erhaltene Textzeugnis aus dem Jahre 1651 stammt. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wurde diese Version der Íslendingabók mehrmals von Hand abgeschrieben und schon 1688 erfolgte die erste Drucklegung, die wiederum als Vorlage für Abschriften und erste philologische Editionen diente. So bietet uns die Íslendingabók ein ideales Beispiel, um an ihr Fragen bezüglich der medialen Umsetzungen der einzelnen Versionen, der Problematik von Editionen für die Forschung als auch erinnerungstheoretische Fragestellungen zu diskutieren. Ziel des Seminares ist es, sich kritisch mit den einzelnen Textträgern auseinanderzusetzen und auch die historisch-methodologischen Bedingungen unterscheiden und einordnen zu können, die zu den verschiedenen Editionen und Leseversionen in der Skandinavistik führten. Aufgrund des geringen Textumfangs der Íslendingabók werden wir im Seminar große Teile des Textes aus verschiedenen Versionen übersetzen, damit die Differenzen zwischen den einzelnen medialen Ausformungen erkannt werden können. Gute Kenntnisse des Altnordischen sind daher Voraussetzung für den Besuch des Seminars. |