Das SE führt in die Paradigmen und Schulen der Germanistik seit 1950 ein und fragt, welche Rolle der literarische Kanon für die Transformation des literaturwissenschaftlichen Denkens gespielt hat. Welcher Kanon, welche literarhistorische Epoche diente den jeweiligen Schulen als wesentliches Gegenstandsfeld? Warum kamen andere Epochen nicht in Betracht? Welche Elemente eines literarischen Textes wurden überhaupt zum Maßstab der Auswahl und Wertung? Wie begründete man die Auswahl der Literatur, wenn die fachtypischen Verweise auf den nationalen Zusammenhalt und die Stabilisierung des ‚Deutschtums‘ nach dem Nationalsozialismus nicht mehr legitim waren? Und schließlich: Was sagt uns der sich verändernde Kanon der Literaturwissenschaft über wissenschaftliche Perspektiven und Vorentscheidungen sowie über gesellschaftliche Kontextfaktoren?Ausgehend von einem Überblick über zentrale Entwicklungsstationen des Fachs analysieren wir anhand ausgewählter programmatischer Texte der Werkimmanenz, Sozialgeschichte, feministischen Literaturwissenschaft, Dekonstruktion und Praxeologie die Argumentationslogik der jeweiligen Paradigmen und Schulen. Da literaturwissenschaftliche Theorie immer auch Lektüre ist, nehmen wir uns anschließend die literarischen Texte vor, die den Theorien als Grundlage dienten, vollziehen die jeweilige Perspektive nach, ordnen sie kritisch ein und fragen nach ihren blinden Flecken. ‚Exemplarische Lektüren‘ dieses Seminars sind also sowohl literarische Lektüren als auch Lektüren ihrer literaturwissenschaftlichen Lesart. Das Seminar richtet sich an Studierende, die Freude an theorie- und wissenschaftsgeschichtlicher Reflexion haben und lädt zur kritischen Befragung unserer eigenen literarischen Vorlieben und literaturwissenschaftlichen Vorentscheidungen ein.Arbeitsleistung: Übernahme eines Ergebnisprotokolls
Georg Bollenbeck / Clemens Knobloch (Hg.): Semantischer Umbau der Geisteswissenschaften nach 1933 und 1945. Heidelberg: Winter 2001; Lutz Danneberg / Wolfgang Höppner / Ralf Klausnitzer (Hg.): Stil, Schule, Disziplin. Frankfurt/M. u.a.: Peter Lang 2005; Renate v. Heydebrand / Simone Winko: Einführung in die Wertung von Literatur. Systematik, Geschichte, Legitimation. Paderborn: Schöningh 1996; Jost Schneider: Methodengeschichte der Germanistik. Berlin / New York: de Gruyter 2009.
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