Nach seinem Zusammenbruch und einer Behandlung als ,Wahnsinniger‘ lebte Friedrich Hölderlin ab 1807 zur Pflege im Haushalt eines Tübinger Tischlers. Hier verbrachte er die zweite Hälfte seines Lebens, und hier schrieb er in seinen letzten Lebensjahren einige Gedichte, die er mit dem Namen „Scardanelli“ unterzeichnete und die er teils weit in die Vergangenheit oder Zukunft hinein datierte. Fast alle tragen den Namen einer Jahreszeit als Titel. Diese Texte verbindet eine (vordergründige) sprachliche und formale Einfachheit, die in starkem Kontrast zu den komplexen lyrischen Werken steht, die Hölderlin um und nach 1800 geschrieben hat – den Oden und Hymnen, auf denen zumeist das Hauptinteresse der Literaturwissenschaft liegt.Die LV soll projekthaften Charakter haben. Ihr Gegenstand sind einerseits die Scardanelli-Gedichte selbst, die in gemeinsamer Arbeit untersucht werden sollen. Andererseits – und diese Untersuchung methodisch grundierend – soll auch die umfangreiche Analyse eines einzelnen Gedichts („Die Aussicht“) durch Roman Jakobson und Grete Lübbe-Grothues Thema sein. Der Zugang dieser Studie ist ein strukturalistischer, der die mikrologische Analyse des Sprachbestands als Schlüssel zur Deutung des Textes annimmt. Zu fragen ist hier, ob man diese Methode vollständig oder modifizierend übernehmen kann, um alle Scardanelli-Gedichte und ihre Zusammenhänge zu erschließen. Über das genaue Vorgehen können wir uns zu Vorlesungsbeginn und dann Schritt für Schritt gemeinsam verständigen – Anregungen und Ideen aus der Runde sind jederzeit willkommen!
Roman Jakobson, Grete Lübbe-Grothues: Ein Blick auf „Die Aussicht“ von Hölderlin. In: Roman Jakobson: Poesie der Grammatik und Grammatik der Poesie. Sämtliche Gedichtanalysen. Kommentierte deutsche Ausgabe. Bd. II: Analysen zur Lyrik von der Romantik bis zur Moderne. Gem. mit Hendrik Birus hrsg. v. Sebastian Donat. Berlin, New York 2007, S. 139–249.
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