Kommentar |
„Das Anthropozän als Herausforderung für die Geschichtswissenschaft“ – darüber wurde auf dem letzten Historikertag in Leipzig in einer Sonderveranstaltung diskutiert. Dieser Herausforderung wollen wir uns mit Blick auf das 19. Jahrhundert stellen. Schließlich spricht viel dafür, die Anfänge des Anthropozäns am Anfang dieses Säkulums zu verorten. Nahmen doch die Einwirkungen der Menschen auf ihre Umwelt im 19. Jahrhundert eine fundamental neue Dimension an und setzten schließlich den Klimawandeln in Gang. Das Seminar fragt nach den Ursachen, den Akteuren, den konkreten Umsetzungen und den Folgen des neuen Umgangs mit der Natur. Dabei stehen die Ereignisse in den deutschen Staaten vom Vormärz bis zum Ersten Weltkrieg im Vordergrund, die in die allgemeinen europäischen Prozesse eingeordnet werden. Mit dem Beginn der Industrialisierung, der wachsenden Produktivität menschlicher Arbeit und dem größeren Arbeitsplatzangebot stieg einerseits der Lebensstandard in Mitteleuropa deutlich an. Die Hungerkrisen „alten Typs“ kamen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts an ein Ende. Andererseits gingen Industrialisierung, Urbanisierung, Bergbau und Luftverschmutzung zu Lasten natürlicher Ressourcen und brachten Gefahren für die Gesundheit mit sich. Darüber hinaus revolutionierten technische Innovationen wie die Eisenbahn nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung, sondern auch menschliche Erfahrungen von Raum und Zeit. So entwickelte sich nicht zuletzt der Tourismus als Wunsch nach Erholung in der Natur zu einem Geschäftsmodell des Industriezeitalters. Dass die mitteleuropäische Prosperität auch auf der Ausbeutung kolonialer Ressourcen basierte, zeigt ein Blick auf die deutschen Kolonien, schließlich wurden u.a. aus den Plantagen Kameruns Kopra und Kautschuk für die deutsche Industrie geliefert. Durch den Akzent auf den Umgang mit der Natur soll die vermeintlich altbekannte Geschichte der Industrialisierung im 19. Jahrhundert noch einmal neu in den Blick genommen werden. |
Literatur |
Zur Einführung u.a.:
Dieter Ziegler: Die industrielle Revolution, Darmstadt 3. Aufl. 2012.
Frank Uekötter: Umweltgeschichte im 19. Und 20. Jahrhundert, München 2007.
Franz-Josef Brüggemeier: Das unendliche Meer der Lüfte. Luftverschmutzung, Industrialisierung und Risikodebatten im 19. Jahrhundert, Essen 1996.
Geschichte und Gesellschaft 46 (2020), Heft 4: Writing History in the Anthropocene. |