Gruppe 1: Der "Judenbücherstreit" (1509-1521)
Der „Judenbücherstreit“ (1509/10-1521) gilt gemeinhin als erste große Mediendebatte des Buchdruckzeitalters mit europäischer Resonanz. Anfänglich eine aggressive über Druckschriften ausgetragene Diskussion um die Rechtmäßigkeit jüdisch-religiöse Literatur, insbesondere den Talmud konfiszieren zu dürfen, weitete sie sich bald aus in eine von Humanisten vorangetriebene Auseinandersetzung um das festgefahrene scholastische Denken u.a. an den Universitäten. Mit zahlreichen oft ebenfalls gedruckten Gutachten und Stellungnahmen erfuhr der „Judenbücherstreit“ in der Folge eine europäische Dimension und wurde für die kommenden Medienschlachten der Reformation zur Folie. Im Zentrum des Konflikts standen zwei Figuren des frühen 16. Jahrhunderts, an denen auf vielschichtige Weise christlich-jüdische Konflikte untersucht werden können: Nämlich einmal der zum Christentum konvertierte Johannes Pfefferkorn, der als Hindernis für eine weitere „erfolgreiche“ Mission jüdischer Menschen den Talmud ausgemacht zu haben glaubte und auf der anderen Seite der Humanist und Hebraist Johannes Reuchlin, der als Jurist eine Rechtmäßigkeit der Talmudeinziehung bestritt.
Die Übung widmet sich vor allem der (in diesem Ausmaß neuen) medialen Dynamik des „Judenbücherstreits“ sowie der Rolle verschiedener Akteursgruppen (Humanisten, Ordensgeistliche, jüdische Gemeinden etc.), die diese vorantrieben. Insbesondere anhand der Drucke Pfefferkorns und Reuchlins soll untersucht werden, wie komplex christlich-jüdische Konflikte in der Frühen Neuzeit abliefen, was die Eigenheiten vormodernen Antisemitismus genau waren und welche darüber hinausgehenden Interessen die entscheidenden Akteur:innen damit verbanden. In diesem Zusammenhang soll neben Grundlagenwissen zu Humanismus, Buchdruck und Antijudaismus auch die Rolle verschiedener im Reich einflussreicher Institutionen, Einrichtungen und Personen (Universitäten, Reichskammergericht, Reichsstädte, Reichsfürsten, Papst, Kaiser etc.) vermittelt werden.
Gruppe 2: Die Beraubung der jüdischen Bevölkerung im Nationalsozialismus 1933-1945
Die Verdrängung der jüdischen Bevölkerung aus der Wirtschaft und die Enteignung ihres Vermögens wurden seit den 1990er Jahren immer deutlicher als konstitutive Elemente im Prozess der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Mordpolitik erkannt. Im Seminar dient der Fokus auf die ökonomischen Aspekte der nationalsozialistischen Judenverfolgung dazu, deren gesellschaftsgeschichtliche und transnationale Dimension zu erhellen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Arbeit mit unterschiedlichen Quellensorten, die einen multiperspektivischen Blick auf das historische Geschehen ermöglichen.
Gruppe 3: Die Macht der Dinge.
Lange wurde Dingen in der europäischen Denktradition nicht mehr als ein passiver Objektstatus zuerkannt, kamen sie lediglich als Dekor oder bloße Werkzeuge menschlichen Handelns, Erkennens oder Kommunizierens in Betracht.
Seit geraumer Zeit widmet die Wissenschaftsgeschichte – auch angesichts, trotz oder aufgrund der Beschäftigung mit Prozessen der Digitalisierung – den Dingen und technischen Apparaturen, ihrer Materialität und ihrer zentralen Rolle für die Erkenntnisproduktion eine besondere Aufmerksamkeit.
Im Seminar lesen wir einschlägige Texte über den Eigensinn und die Handlungsmacht der Dinge insbesondere in den Human- und Sozialwissenschaften. Wir beschäftigen uns mit historischen Auffassungen von materieller Kultur, die sich in Sammlungs- und Vermittlungspraktiken, in Konzeptionen von Alltagsgeschichte oder in Forschungsmethoden wie den sogenannten „Object Lessons“ niederschlagen.
Ein Fokus des Seminars liegt auf der Verbindung zwischen theoretischen Konzepten und konkreten Fallstudien, die historische Perspektiven mit aktuellen Debatten verknüpfen.
Gruppe 4: Der Widerspenstigen Zähmung: Kunst in der Sowjetunion (1917-1991)
Während die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in Russland eine Kakophonie künstlerischer Strömungen evozierte, die in der Avantgarde der frühen 1910er bis 20er Jahre einen letzten ästhetischen Kulminationspunkt fand und sich mit der Unterstützung des neuen politischen Regimes der Bolschewiki selbst zum Demiurgen der Macht aufschwang, setzte Stalin all dem mit der Doktrin des Sozialistischen Realismus einen Endpunkt.
Die Ästhetisierung des Neuen Menschen erfuhr nunmehr eine Expulsion, die bis zur künstlerischen Anämie führte. So zumindest das langjährige Vorurteil in der westlichen Hemisphäre. Doch wie blutleer und künstlerisch wertlos war die Musik, Literatur und Bildende Kunst der 1930er bis 1950er Jahre wirklich?
Und welche neuen Impulse setzten die Tauwetterzeit Chruschtschows, die Abkehr vom Terror, die Stagnationsphase der Ära Breschnews und der Geist der Perestroika unter Gorbatschow der Kunst und der neuen Schicht der Dissidenten? Welche Konflikte ergaben sich aus den Versuchen einer neuen Formsprache und dem Mut zur Kritik und der Nomenklatura und ihren Staatskünstlern?
Und schließlich: Was bedeutete der Untergang der Sowjetunion für die Kunst?
Diesen Fragen wollen wir anhand der verschiedenen Kunstgattungen sowie an ideenhistorischen Texten in der Übung nachgehen, gemeinsam über das Verhältnis von Macht und Kunst nachdenken und analysieren, ob es den sowjetischen Führern in der Praxis tatsächlich gelang, Künstler in das enge Korsett von Hofkünstlern zu zwängen und wo sie Kritik zuließen und neue Formen förderten.
Gruppe 5: Sozialistische Staaten 1945-1990: Polen, Tschechoslowakei, Rumänien
Neben der Sowjetunion als Führungsmacht gehörten dem Ostblock dauerhaft sechs mittelgroße und kleinere ostmittel- und südosteuropäische Staaten an. Die Volksrepublik Polen, die Tschechoslowakische Sozialistische Republik und die Sozialistische Republik Rumänien werden in diesem Bachelorseminar als Beispiele für drei verschiedene Wege im sowjetischen Hegemonialbereich ins Visier genommen. Vergleichend wird sich der Politik, Wirtschaft, dem Militär und kulturellen Gegebenheiten gewidmet. Am Ende des Kurses wird der Wandel hin zur postsozialistischen Zeit zum Thema.
Gruppe 6: Den Frieden denken! Über Zukunftsvorstellungen für eine Zeit nach dem Krieg (ca. 1914–1945)
Und plötzlich ist Frieden? Selten entsteht Frieden aus dem Nichts. Aus dieser Feststellung ergibt sich die Leitfrage unseres Seminars: Wie wird Frieden im Krieg gedacht? Diese Frage lenkt den Blick auf das Spannungsfeld zwischen der Erfahrung kriegerischer Gewalt und der Vorstellung einer friedlichen Zukunft – anders ausgedrückt, auf das Verhältnis zwischen Gegenwart und Szenarien einer möglichen Zukunft. Der Blick auf unterschiedliche Zukunftsvorstellungen von nüchternen Planungen für eine Neuen Weltordnung bis hin zu utopischen, realitätsentfliehenden Entwürfen und individuellen Lebensplanungen eröffnet den Blick Möglichkeitsräume historischer Entwicklung und unterstreicht so die Offenheit der historischer Prozesse.
Das Seminar führt uns daher an verschiedene Orte: etwa ins Niemandsland im Ersten Weltkrieg an Weihnachten 1914, auf eine Burg im Frankenwald 1917/18, in Universitäten im NS-Deutschland, zu den zahlreichen Kriegskonferenzen der Alliierten von Neufundland bis Potsdam, in die Wohnungen von Exilanten und Exilregierungen, aber auch auf Fußballplätze und in Kriegsgefangenenlager und schließlich auf die Straßen einer Stadt in Algerien am 8. Mai 1945.
Das Seminar gibt Einblick in die Geschichte des 20. Jahrhunderts und führt in wissenschaftliches Arbeiten ein. Gemeinsam vertiefen wir das historisch-kritische Denken und möchten dabei auch neue Formen der Ergebnispräsentation und Diskussion ausprobieren.
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