Kommentar |
Wie wird von einer gelebten Vielheit von Gemeinschaften erzählt? Ostmitteleuropa zeichnet sich mindestens bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs u. a. dadurch aus, dass ethnisch-kulturelle Vielfalt eine Selbstverständlichkeit ist. Bereits seit den jugoslawischen Zerfallskriegen in den 1990er-Jahren wird (freilich keinesfalls erstmals) mit Flucht und Migration für die mittel-, süd- und osteuropäischen Literaturen abermals ein von heterogenen Gruppen geprägter Alltag ganz aktuell (sei es ethnisch-kulturell, sei es sozial), der auch in der Literatur in facettenreichen Perspektivierungen verhandelt wird. Das Seminar stellt Texte in den Mittelpunkt, die soziale Vielfalt erzählen (oder auch lyrisch oder dramatisch erfassen). Je nach Interesse der Studierenden werden wir Romane aus dem 19. Jahrhundert betrachten, z. B. Božena Němcovás Babička (1855, Die Großmutter) oder Bolesław Prus’ Lalka (1887-1889, Die Puppe), die mit ihren Figuren und Schauplätzen einen vielseitigen Gesellschaft-Ausschnitt entwerfen. Wir können literarische Texte aus der Zwischenkriegszeit auf ihren Blick auf verschiedene Zugehörigkeiten hin analysieren, oder aus der Gegenwartsliteratur das Erzählen von Exil und Migration in der serbokroatischen, ukrainischen oder belarusischen Literatur näher betrachten. Den roten Faden bildet dabei die Frage, wie gesellschaftliche Heterogenität künstlerisch zur Darstellung gebracht wird. Abgesehen davon, was in den verschiedenen Texten unterschiedlicher Epochen überhaupt als Gemeinschaften hervortritt, und dem entsprechend: was in der Figurenzeichnung als erzählt wird, werden wir erörtern, wie in diesen literarischen Kunstwerken Wertungen vorgenommen werden. Erscheint eine gesellschaftliche Homogenität als erstrebenswert? Oder ist die Vielfalt nicht bloß einfach gegeben, sondern ein bereicherndes Moment, das beispielsweise ein großes Potenzial an Freiheiten birgt? Herangezogen werden dafür auch Theorietexte, die Un-/Möglichkeiten gemeinschaftlicher Homogenität und Heterogenität argumentativ ausleuchten.
Teilnahmevoraussetzungen:
• Regelmäßige Teilnahme an der Veranstaltung
• Lektüre und Aufbereitung der Texte
• Beteiligung an der Diskussion in den Sitzungen
• Verfassen eines Essays zu einem Sitzungsthema (6-8 S.) bzw. einer Hausarbeit in Absprache (ca. 15 S.).
Das Seminar wird durch einen Tagesausflug nach Frankfurt/Oder & Słubice sowie den Besuch verschiedener anderer Veranstaltungen (Vorträge, Ausstellung) zu dem Seminarthema ergänzt. |