Mit Hermann und Dorothea hat Goethe 1797 einen merkwürdigen Text vorgelegt. In dem Versepos wird, gattungsuntypisch, die Geschichte der Hochzeit der beiden Titelfiguren erzählt. Das weltgeschichtliche Ereignis der Französischen Revolution, das von seiner Bedeutung her eigentlich episches Potential hat, ist dabei im Hintergrund präsent. Den Rahmen für Liebe und Hochzeit bilden Vertreibung, Flucht und Krieg. Weltgeschehen und bürgerliche, private Sphäre durchdringen sich in der Erzählung, so wie sich die Gattungsstrukturen von Epos und Idylle durchdringen.Das SE möchte den Text im Kontext der gattungstheoretischen, ästhetischen, historischen, politischen und geschlechterpolitischen Debatten um 1800 lesen. Nicht zuletzt die zeitgenössischen Debatten um Homer werden im Blickfeld stehen, etwa Friedrich August Wolfs provokante philologische Untersuchung Prolegomena ad Homerum (1795) oder Johann Heinrich Voß’ Übersetzungen von Ilias und Odyssee (1781/1793) in deutsche Hexameter. Auch Goethes Achilleis, seinen Versuch einer Fortsetzung der Ilias, werden wir uns voraussichtlich anschauen.Das SE will den Text und seine Zeit in einer doppelten Bewegung erschließen. Einerseits wird sich das SE Goethes Verserzählung in einer intensiven Lektüre widmen. Andererseits werden immer wieder Sitzungen des Seminars anderen Texten gewidmet sein, die ebenfalls aufmerksam erschlossen werden sollen, um von ihnen her dann wiederum neue Blicke auf Hermann und Dorothea werfen zu können. Text und Kontexte sollen sich auf diese Weise gegenseitig erhellen. Ziel ist nicht nur eine vertiefte Kenntnis von Goethes Text, sondern das SE will an ihm gleichzeitig paradigmatisch einen tieferen Einblick in die literarische Situation um 1800 eröffnen, insbesondere in Bezug auf die Bedeutung der griechischen Antike für die modernen zeitgenössischen Selbstpositionierungen in der Literatur.
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