Dieses Seminar stellt den Auftakt einer Langzeitseminarreihe dar, die ich in den kommenden Jahren der Philosophie Plotins widmen werde. Plotins Denken – eines der komplexesten, originellsten und einflussreichsten Produkte der griechischen Philosophie – wurde in 54 Schriften unterschiedlicher Länge überliefert, die Plotins Schüler Porphyrios nach dem Tod seines Lehrers sammelte, edierte und nach einem nicht-chronologischen, sondern thematischen Kriterium in sechs jeweils aus neun Schriften bestehenden Gruppen unter dem Gesamttitel ‚Enneades‘ einordnete. Wie Porphyrios in einer Stelle seiner Schrift über Plotins Leben klar macht, soll die Struktur der ‚Enneaden‘ einem Lehrplan entsprechen, der den Lernenden von der Auseinandersetzung mit subjektbezogenen Betrachtungsgegenständen bis auf die Erkenntnis des höchsten Prinzips des Seins führen soll. Dieser Lehrplan, der sich als Aufstiegsprozess, ‚itinerarium mentis‘ in die höchste Wahrheit und gleichzeitig als Weg zur Entsubjektivierung des Subjektes und dessen Auflösung in ein übersubjektives Selbst erweist, fängt mit einigen von Porphyrios in der ersten Enneade gesammelten Schriften an, die auf die Seele des Lernenden propädeutisch und reinigend wirken sollen, indem sie der Erörterung ethisch sowie auch erkenntnistheoretisch relevanter Fragen gewidmet sind.
In diesem Seminar werden wir uns mit den ersten fünf Schriften der ersten Enneade auseinandersetzen, nämlich mit den Schriften 1) Über den Begriff des lebenden Wesens und den Begriff des Menschen; 2) Über die Tugenden; 3) Über die Dialektik; 4) Über die wahre Glückseligkeit; 5) Ob die Glückseligkeit in der Länge der Zeit bestehe.
In der Einleitungssitzung werden wir das dem ‚Enneaden-Projekt‘ zugrundeliegende Verständnis von Philosophie als Lerngegenstand und Philosophie als Lebensweise anhand von ausgewählten Textstellen von Porphyrios‘ ‚Leben von Plotin‘ erörtern. Im Laufe des Semesters werden wir uns mit den Grundlagen der plotinischen Ethik auseinandersetzen und werden versuchen zu verstehen, wie sich Plotins Ethik (wie seine gesamte Philosophie) aus einer beständigen Auseinandersetzung mit der platonischen und der aristotelischen Philosophie entwickelte und sich als höchst originelles Produkt eines sehr komplexen Hybridisierungsprozesses zwischen der platonischen und der aristotelischen Denkwelt erwies.
Die relevante Literaturliste wird am Anfang des Semesters bekanntgegeben und den Teilnehmer*innen in Moodle zur Verfügung gestellt werden.
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