Sämtliche mittelalterlichen Philosophinnen und Philosophen in der aristotelischen Tradition gingen davon aus, dass für das Denken ein besonderes Vermögen – der Intellekt – erforderlich ist. Doch was genau ist der Intellekt? Welche Akte des Denkens ermöglicht er? Und wie verhält er sich zu den sinnlichen Vermögen, die Akte des Wahrnehmens und Vorstellens ermöglichen? Diesen Fragen geht das Seminar nach, indem es die philosophische Debatte über den Intellekt im arabischen und lateinischen Mittelalter untersucht. Texte von Averroes, Siger von Brabant, Thomas von Aquin, Dietrich von Freiberg und Pietro Pomponazzi sollen genau gelesen und diskutiert werden. Drei Fragenkomplexe stehen dabei im Vordergrund:
Metaphysische Fragen: Welchen Status hat der Intellekt? Ist er ein individuelles Vermögen, über das jeder einzelne Mensch verfügt, oder ein überindividuelles Vermögen, an dem alle Menschen teilhaben?
- Kognitionstheoretische Fragen: Wie genau funktioniert der Intellekt? Unter welchen Bedingungen bringt er Akte des Denkens hervor? Und welche Struktur haben diese Akte?
- Erkenntnistheoretische Fragen: Welchen Zugang haben wir zum Intellekt? Können wir ihn als bloßes Vermögen erkennen? Oder können wir nur einzelne Akte erfassen und dann auf die Existenz eines Vermögens schließen?
Diese Fragen sollen mit Bezug auf konkrete Texte und ihren historischen Kontext erörtert werden. Es sollen aber auch Verbindungen zu heutigen Debatten über Fähigkeiten und Vermögen hergestellt werden. Für die Teilnahme am Seminar sind keine Vorkenntnisse der mittelalterlichen Philosophie erforderlich. Von allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern wird jedoch eine aktive Mitarbeit erwartet.
Sämtliche Texte werden zweisprachig (lateinisch-deutsch) in einem Reader zusammengestellt und auf Moodle zugänglich gemacht. Zur Vorbereitung wird folgende Überblicksliteratur empfohlen:
Black, D. L., „The Nature of Intellect“, in: The Cambridge History of Medieval Philosophy, ed. R. Pasnau, Cambridge 2014, 320-333.
Ogden, S. R., Averroes on Intellect: From Aristotelian Origins to Aquinas’ Critique, Oxford 2022.
Pasnau, R. & Shields, C., The Philosophy of Aquinas, Oxford 2016 (besonders Kap. 7: „Sense and Intellect“).
Am 5. Mai 2023 findet ein Workshop mit internationalen Gästen zum Thema des Seminars statt. Die Teilnahme an diesem Workshop wird dringend empfohlen.
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