Für die Hermeneutik war immer klar, dass Denken ein Antworten ist: Denken kritisiert vorangegangenes Denken, schreibt es um oder rekonstruiert es, um daran anzuknüpfen. Wenn philosophisches Denken ein Dialog mit der Tradition ist, dann ist das Verhältnis zur Tradition zentral für die Philosophie. Dabei war eine wichtige Frage immer, wie die Abhängigkeit von der Tradition zu verstehen ist: Bietet die Tradition einen guten Ausgangspunkt, um weiter zu gehen oder ist sie eine Last oder gar ein Ballast?
Das Verhältnis zur eigenen Tradition war also auch in der philosophischen Tradition immer umstritten. An drei historischen Stationen – (1) mittelalterlicher Kommentar, (2) Descartes und Bacon und (3) Hamann und Herder – sollen exemplarisch drei vormoderne Umgangsformen der Philosophie mit ihrer Tradition untersucht werden: (1) Kommentierender Nachvollzug der Tradition, (2) Versuch, aus der Tradition durch Meditation und Empirie herauszutreten, dagegen (3) Versuch, die Unhintergehbarkeit von Tradition für das Denken nachzuweisen.
Im zweiten Teil des Seminars werden dann verschiedene moderne Modelle der Traditionskritik, wie sie vor allem im 20. Jahrhundert aufkamen, untersucht: Durcharbeitung (Freud), Destruktion (Heidegger), Frage-und-Antwort (Gadamer), Dekonstruktion (Derrida), Erwachen und Traum (Benjamin), Genealogie (Nietzsche) und Karnevalisierung (Bachtin).
Vorbereitung:
Es soll gleich in der ersten Sitzung (25.4.) mit einer Lektüre der anthropologischen Thesen von Michael Tomasello über die Bedeutung von Tradition in der Entwicklungsgeschichte des Menschen begonnen werden.
Alle SeminarteilnehmerInnen sollten bitte diesen Text zur ersten Sitzung lesen, den wir eine Woche vor Seminarbeginn in dem Moodle des Seminars zur Verfügung stellen werden:
https://moodle.hu-berlin.de/course/view.php?id=110521 |