Kommentar |
Mit Blick auf die universitäre Deutschlehrer:innenausbildung wurde bereits vor über fünfzig Jahren kritisiert, dass im Unterschied zu literarhistorischen Kenntnissen wenig auf die praktischen Interpretationskompetenzen der Lehrkräfte geachtet werde. Gemeint waren damals Übungen in dichten Lektüren, wie sie unter dem Leitbegriff der Werkimmanenz hoch gehandelt wurden. Sowohl in der Schule als auch in der Universität hat sich eine Wertschätzung entsprechender Rezeptionsweisen in der Zwischenzeit keineswegs erledigt, auch wenn jetzt eher – über den Kontakt mit dem New Criticsm und seinen Wirkungen – von einem Close Reading oder von einem textnahen Lesen gesprochen wird. Als eines der Kennzeichen entsprechender Lektürehaltungen gilt die Zurückhaltung gegenüber vorzeitigen Kontextualisierungen, wie etwa in Anlehnungen an das Autor- oder Epochenwissen, oder, lesepsychologisch gefasst, gegenüber einseitigen Topdown-Lektüren. Ein extremes Beispiel für Praktiken bewusst verlangsamter Lektüren bot 1970 Roland Barthes‘ strukturalistisch geprägter Band „S/Z“, der auf ein zweijähriges Literaturseminar zurückgeht. Entsprechend viel Zeit werden wir nicht haben und auch anderen Bezügen als denen Barthes‘ folgen, aber mit der Auswahl kurzer Erzählungen der Moderne vergleichsweise viel Zeit für wenig Text aufwenden können. Vorschläge für die Textauswahl finden sich im Moodle-Kurs. |