Kommentar |
Paradoxerweise handelte es sich bei der „Nationaloper“ im 19. und 20. Jahrhundert um eine ausgesprochen internationale Angelegenheit. Kaum eine (europäische) Nation zwischen den skandinavischen Ländern und Italien, zwischen der iberischen Halbinsel und Russland, die nicht irgendwann versucht hätte, ihre spezifische, zumeist aus der Geschichte heraus konstruierte „Identität“ in Werken des Musiktheaters zu spiegeln oder darauf zu projizieren. Dies galt sowohl für Staaten, die realpolitisch existierten, als auch für „Nationalbewegungen“, die sich mit freiheitlich-emanzipatorischem Gestus gegen eine wie auch immer geartete „Fremdherrschaft“ zu behaupten suchten. Zuweilen wurden „Nationalopern“ bewusst als solche konzipiert (etwa Wagners Die Meistersinger von Nürnberg oder Smetanas Libuše, uraufgeführt 1881 zur Eröffnung des Prager Nationaltheaters), zuweilen war es eher die Rezeptionsgeschichte, die ihnen diesen Nimbus verlieh (etwa im Fall von Verdis Nabucco mit dem Chor der gefangenen Hebräer als vermeintlicher Hymne des „Risorgimento“).
Die Vorlesung möchte dem Phänomen „Nationaloper“ in seinen verschiedenen Ausprägungen nachspüren, die politischen Kontexte beleuchten, die dabei jeweils maßgebend waren, und die internationalen Verflechtungen innerhalb eines Genres deutlich machen, dessen Werke darauf pochten, unverwechselbar „national“ zu sein. |
Literatur |
Auswahl
- Ferdinand Pfohl, Richard Wagner’s deutsche Nationaloper „Die Meistersinger von Nürnberg“. Ein Essay, 3. Aufl., Leipzig [ca. 1900]
- Eric Walter White, The Rise of English Opera, New York 1951
- John Tyrrell, Czech Opera, New York 1988
- Richard Taruskin, Opera and Drama in Russia as Preached and Practiced in the 1860s, Rochester/NY 1993
- Wolfgang Michael Wagner, Carl Maria von Weber und die deutsche Nationaloper, Mainz u.a. 1994 (Weber-Studien 2)
- Birgit Pauls, Giuseppe Verdi und das Risorgimento. Ein politischer Mythos im Prozess der Nationenbildung, Berlin 1996 (Politische Ideen 4)
- Manuela Schwartz, Wagner-Rezeption und französische Oper des Fin de siècle. Untersuchungen zu Vincent d’Indys „Fervaal“, Sinzig 1999 (Berliner Musik-Studien 18)
- Von Wagner zum Wagnérisme. Musik, Literatur, Kunst, Politik, hrsg. von Annegret Fauser und Manuela Schwartz, Leipzig 1999 (Deutsch-französische Kulturbibliothek 12)
- Eckhard Weber, Manuel de Falla und die Idee der spanischen Nationaloper, Frankfurt am Main u.a. 2000 (Perspektiven der Opernforschung 7)
- Rüdiger Ritter, Musik für die Nation. Der Komponist Stanisław Moniuszko (1819–1872) in der polnischen Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts, Frankfurt am Main u.a. 2005 (Mitteleuropa – Osteuropa 6)
- Gefühlskraftwerke für Patrioten? Wagner und das Musiktheater zwischen Nationalismus und Globalisierung, hrsg. von Arne Stollberg, Ivana Rentsch und Anselm Gerhard, Würzburg 2017 (Thurnauer Schriften zum Musiktheater 26)
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