Kommentar |
Als Gegenstand ist die Zukunft abwesend, als Zeitform ist sie stets im Kommen. Dennoch kann sie im Hier und Jetzt erscheinen, in Entwürfen und Plänen, Hoffnungen und Befürchtungen. Vor allem ist Zukunft sprachlich erfassbar, und deshalb kann die Literatur in besonderer Weise über sie Auskunft geben. Die Vorlesung erkundet den Zusammenhang von Literatur und Zukunft zwischen 1600 und 1850 – einer Zeit, in der sich das Verständnis von Zukünftigkeit auf so entscheidende Weise verändert, dass manche Historiker überhaupt erst für das ausgehende 18. Jahrhundert von einer „Entdeckung der Zukunft“ im modernen Verständnis sprechen. Umso interessanter sind literarische Darstellungen kommender Zeiten in der Frühen Neuzeit, in der Zukunft immer auch „in räumlichem sinne ‚herankunft‘, ‚ankunft‘“ meint (so der Eintrag „Zukunft“ im Grimm-Wörterbuch). Ausgehend von diesem Befund sollen in der Vorlesung sowohl die Räume, Orte und Topoi literarischer Zukünfte als auch die damit einhergehenden komplexen Zeitverhältnisse erkundet werden, vom Barock über Aufklärung, Klassik und Romantik bis zum Vormärz. Besonders berücksichtigt werden dabei die Wechselbezüge mit der Kultur- und Wissensgeschichte. Einzelne Themen: Raum- und Zeit-Utopien im 17. und 18. Jahrhundert (Grimmelshausen, Schnabel); barocke Trauerspiele als Schauplätze des Künftigen (Gryphius, Lohenstein); Zukunftswünsche in der empfindsamen Dichtung (Geßner, Stolberg); lyrische Erwägungen über das dichterische Nachleben (Klopstock); aufklärerische Debatten um die Grenzen der Zukunftserkenntnis (Kant, Herder); Vorformen der Science Fiction im 18. und 19. Jahrhundert (Kindermann, Voß); Vorausdeutung und Finalität im Drama um 1800 (Goethe, Schiller); „progressive Universalpoesie“ als romantisches Zukunftskonzept (Schlegel, Novalis); Innovation und Revolution als literaturpolitisches Programm im Vormärz (Heine, Büchner, Marx/Engels). |