Kommentar |
Die Frau gilt in der mittelalterlichen Lyrik als passive und stumme Protagonistin männlicher Liebeswerbung und androzentrischer Vorstellungen von Weiblichkeit. Die stark standardisierten marien- bzw. engelhaften Frauenfiguren dienen zumeist der transzendentalen Selbsterhöhung des lyrischen Ichs. Die unterschiedlichen Vorstellungen von sublimierter Weiblichkeit sollen im ersten Teil des Seminars anhand ausgewählter Gedichte von der Troubadourlyrik (Guillaume IX d’Aquitaine) über die Scuola Siciliana (Giacomo da Lentini) und den Dolce Stil Novo (Dante, Cavalcanti) bis hin zu Petrarca nachvollzogen werden. Im Anschluss soll der Frage der Subversion höfischer Topoi in der Lyrik der mittelalterlichen Dichterinnen Compiuta Donzella und Christine de Pizan nachgegangen werden. Beide verleihen der bislang zum Schweigen verurteilten weiblichen Psyche eine eloquente Stimme, die ihr individuelles Verlangen artikuliert. Während Compiuta Donzella die soziale Realität der Zwangsheirat denunziert, verurteilt Pizan den höfischen Liebesdiskurs als manipulative Verführungsstrategie. Die Entauratisierung der Frauenfiguren führt dem Leser die Kluft zwischen androzentrischer Liebesrhetorik und weiblicher Lebenswirklichkeit im Mittelalter besonders eindrucksvoll vor Augen. |