Kommentar |
In Ludwig Wittgensteins 'Bemerkungen über die Farben' findet sich die folgende prägnante Notiz: "In den Farben: Verwandtschaft, und Gegensatz. (Und das ist Logik)." Wer die Aufmerksamkeit auf den Gebrauch von Farbwörtern in mittelalterlicher Dichtung richtet, wird jene Charakteristik des Sprachspiels Farbe sogleich wiedererkennen: Farbwörter überziehen Texte mit einem Netz von Kontrasten und Korrespondenzen, mit denen sie zum einen konträre Verhältnisse evident machen (in der Regel ohne sie aufzuheben; denn das poetische Farbvokabular kennt keine Mischfarben) oder Verwandtschaftsverhältnisse codieren (wie im Regelwerk der Heraldik und ihres geometrisierten Farbenwechsels). In einer Poetik, die von Grund auf allegorisch konzipiert ist, bedeutet eine solche Beobachtung, dass die Signifikanz der Darstellung nicht einfach durch die Sachgehalte der Sprache (durch die bezeichneten res) substantiell gedeckt ist, sondern über das Akzidenz der Farbe im Sinne der Qualitätenallegorese artifiziell konstruiert wird. Das ist freilich nicht so zu verstehen, als würden die Farbnamen eine konventionalisierte Bedeutung transportieren (wie "Grün ist die Hoffnung"). Vielmehr zählen vor allem die Farbsequenzen und –clusterbildungen, ihre Regularitäten und Irregularitäten. In solchen Relationen lassen sich grammatische, dialektische und rhetorische Kalküle der Identifikation oder Inversion formieren, die grundlegende Problemstellungen mit einer bunten Hülle umgeben, um sie dadurch zugleich zu verdecken und schillernd hervorzuheben. Das bedeutet: Wo sich Farbbeschreibungen in einem Dichtung häufen und verdichten, liegt vermutlich ein Epizentrum poetischer Verschlüsselungsaktivität. Das Seminar wird sich am Beispiel verschiedener Gattungsformen mit jener Aktivität beschäftigen. Im Mittelpunkt der Analyse wird die Lektüre eines späten Artusromans stehen: des 'Wigalois' Wirnts von Grafenberg und seiner altfranzösischen Vorlage, des 'Bel Inconnu' Renauts de Beaujeu (in Übersetzung). |
Literatur |
Zur Anschaffung empfohlen: Wirnt von Grafenberg: Wigalois. Text d. Ausg. v. J.M.N. Kapteyn, übers., erl. u. mit einem nachwort vers. v. Sabine u. Ulrich Seelbach. 2., überarb. Aufl., Berlin 2014.
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