Kommentar |
In der Musikgeschichtsschreibung gilt die Renaissance als geradezu neuerungssüchtige Epoche: Hervorgehoben werden immer wieder Neuerungen in der Komposition von Motetten, in der Entwicklung der zyklischen Messe, in der Notation, der Entwicklung der Tonalität, im Instrumentarium und und und. Dabei ist das Neue eine zwar attraktive, aber auch problematische Kategorie, wenn es darum geht, eine historische Epoche prägnant zu zeichnen. Denn es gibt das Neue nicht einfach im Sinne einer objektiven Tatsache, die jemand feststellen kann und die von der Geschichtsschreibung bloß als solche erkannt, konstatiert und eingeordnet werden muss. Das Neue ereignet sich nicht einsträngig, sondern erfolgt in einem komplexen Prozess, der Wandlungen des Handwerks und der Technik sowie der ästhetischen Erfahrung, des künstlerischen Ausdrucks und vor allem auch der späteren Deutung der Ereignisse und Zusammenhänge umfasst. Die Musikgeschichtsschreibung hat im Laufe mehrerer Jahrhunderte das Bild eines kontinuierlichen historischen Stroms bis in die Gegenwart konstituiert, wobei gern auch mal die Gegenwart als Optimum bestimmt wurde und die historische Erzählung die Herkunft der Bestandteile der gegenwärtigen Praxis zu benennen suchte.
Da eben viele Bestandteile und Wandlungen dieses Stroms in der Renaissance verortet werden, lohnt es sich, diese Neuerungen probehalber zu hinterfragen und auf ihre Überzeugungskraft hin abzuklopfen. Zugleich versteht sich das Seminar als Einstieg in die Musikgeschichte der Renaissance. |
Literatur |
Allan W. Atlas: Renaissance Music. Music in Western Europe, 1400–1600, New York und London 1998.
Julie E. Cumming: The Motet in the Age of Du Fay, Cambridge 1999.
Carl Dahlhaus: Untersuchungen über die Entstehung der harmonischen Tonalität, Kassel usw. 1967 (auch in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 3).
Neugier. Vom europäischen Denken, hrsg. von Karl Heinz Bohrer und Kurt Scheel, in: Merkur, Jg. 62 (2008), Heft 9/10.
Reinhard Strohm, The Rise of European Music, 1380–1500. Cambridge 1993.
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