Kommentar |
Bereits Goethe und Schiller sprachen vom „Realismus“ bestimmter literarischer Charaktere, allerdings vorwiegend abwertend und ohne damit bereits eine spezifische Stilistik oder gar eine Epoche zu bezeichnen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wird die mimetische Darstellung der Realität allmählich zur allgemeinen poetologischen Norm, allerdings unter der Voraussetzung sehr diverser Realitätskonzeptionen: Die Darstellung des Alltags oder die Rücksicht auf das kleinste Detail in einer Ästhetik der Beschreibung fördern etwa andere Wirklichkeiten zutage als die Annäherung an die Sprache der unteren Klassen oder an das politische Schicksal der Frauen. Diese stiften wiederum gänzlich andere poetologische Einsätze als der Maßstab dialogischer Authentizität, naturwissenschaftlicher Objektivität oder die Konkurrenz mit neuen Medien wie der Fotografie. Was real ist und was nicht, bleibt daher auch und insbesondere im Realismus umkämpft und gerade dieser Streitbarkeit von Begriff und Sache verdankt sich bis hin zum ‚neuen Realismus‘ des 21. Jahrhunderts die anhaltende Bedeutung des Themas. Mit der Unterstützung kurzer historischer und theoretischer Referenztexte wird das SE am Beispiel von Erzählungen von der Spätromantik über den Vormärz und den poetischen Realismus bis zum Naturalismus einen historischen Parcours abschreiten und dabei erzähltheoretisch danach fragen, mit welchen poetischen Verfahren die Autor/innen ihre jeweiligen Realitätseffekte erzeugen. Zu den im Seminar besprochenen Autor/innen gehören dabei Johann Peter Hebel, Berthold Auerbach, Annette von Droste-Hülshoff, Georg Weerth, Gottfried Keller, Adalbert Stifter, Wilhelm Raabe, Theodor Fontane, Otto Ludwig, Marie von Ebner-Eschenbach und Theodor Storm. |