Die Heilige Teresa von Ávila (1515-1582) machte im Laufe ihres Lebens zahlreiche mystische Erfahrungen, von denen sie bereits 1562 in ihrer autobiographischen Schrift Libro de la vida (Buch meines Lebens) berichtet. Auch ihr Hauptwerk Las moradas o El castillo interior (Wohnungen der inneren Burg) zeugt von tiefen religiösen Erfahrungen, die sich in einer einzigartigen literarischen Ausgestaltung der Räume der Seele manifestieren, welche man als Leser*in durchschreitet und die nicht zuletzt durch erotisch-allegorische Bilder unstillbarer seelisch-sinnlicher Sehnsucht geprägt sind.
Diese ex-zentrische Innerlichkeit verbindet Teresa mit ihrem Schüler und Weggefährten, dem Heiligen Johannes vom Kreuz (1542-1591), der im Jahr der Niederschrift der Moradas in Kerkerhaft sitzt. In seiner Subida del Monte Carmelo (Aufstieg auf den Berg Karmel) beschreibt er ebenfalls den Weg der Seele zu Gott. Der Subida vorangestellt ist das Gedicht „En una noche oscura“, das wie kaum ein anderes Gedicht den Topos der dunklen Nacht als Erkenntnisgrund der Seele in der europäischen Literatur geprägt hat.
Ziel des Seminars soll es sein, vor dem Hintergrund der Frage nach Seelenräumen die zentrale Rolle ausgewählter Texte Teresas und San Juans für die Dichtung des spanischen Goldenen Zeitalters herauszustellen und sie entsprechend literaturhistorisch zu verorten. Dabei wird es nicht zuletzt darum gehen, das Basiswissen der Lyrikanalyse zu vertiefen sowie mit Blick auf die ingeniöse Komposition der Texte deren rhetorische Verfasstheit zu untersuchen.
Mögliche Themen sind: écriture féminine, Körper und Seele als Erfahrungsräume, Seelenkonzepte und Liebeskonzepte des Siglo de Oro, Brautmystik, Mystik und Gender, Mystik und Literaturwissenschaft, autobiographisches Schreiben, weibliche Autorschaft. |