Kommentar |
Im Laufe des 20. Jahrhunderts stellte die Verschiebung im kolonialen Machtgefüge und die zunehmende Zirkulation von Positionen aus dem Globalen Süden die ethnographischen Fächer vor epistemische und methodologische Herausforderungen. Diese sogenannte ›Krise der ethnographischen Repräsentation‹ führt insbesondere in der anglo-amerikanischen Anthropologie zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit den rhetorischen und medialen Grundlagen des ethnographischen Arbeitens. Während gegenwärtig die Repräsentationskritik für praktizierende Ethnograph*innen zunehmend die Gestalt einer historischen Strömung annimmt, ist die Ethnographie verstärkt zum Gegenstand anderer Fächer geworden, insbesondere der Literaturwissenschaften, der Wissenschaftsgeschichte und der Kulturwissenschaft. Im Seminar widmen wir uns zentralen theoretischen Transferprozessen, die zur repräsentationskritischen Revision der anglo-amerikanischen Anthropologie in den 1970er bis 1990er Jahren führen. Wir lesen die programmatischen Gründungstexte ausgewählter ethnographischer Strömungen (Dichte Beschreibung, Dialogische Anthropologie, Ethnographien des Partikulären) und gehen den Hinweisen der Autor*innen auf ihre theoretischen Referenztexte nach. Daneben studieren wir zentrale theoretische Beiträge zur Ethnographie aus literatur- und textanalytischen Perspektiven - der Narratologie, Realismustheorie, Hermeneutik sowie mit Blick auf die kuriose Wirkungsgeschichte Michail Michailowitsch Bachtins in der postmodernen Anthropologie. |