Kommentar |
Lyrik gilt als diejenige Gattung, in der Gefühle – Liebe, Glück, Schmerz, Trauer, Melancholie, Angst, Scham, Schock, Schrecken – „in irgendeiner Weise ausgedrückt, kommuniziert oder doch zumindest angesprochen werden“ (T. Köppe). Im Seminar werden wir dieser Verbindung von Lyrik mit Emotionen, Gefühlen, Stimmungen, Atmosphären und Affekten nachgehen und ihre Theoriegeschichte rekonstruieren. Der Frage nach der Affektpoetik der Lyrik werden wir uns auch aus dem Blickwinkel des emotional bzw. affective turn annähern. Bringt die „Wende zum Affekt“ auch eine Wende in Lyrik und Lyriktheorie mit sich? Inwiefern sind die neuen Erkenntnisse der Emotionsforschung auf die Lyrikanalyse übertragbar? Im ersten Teil des Seminars werden wir ein Begriffsinstrumentarium erarbeiten und uns mit theoretischen Ansätzen von T. Anz, G. Böhme, J. Culler, H. U. Gumbrecht, T. Köppe, B. Meyer-Sickendiek, H. Schmitz und D. Wellbery auseinandersetzen. Anschließend werden wir – anhand von Beispielen aus den (ostmittel)europäischen Literaturen des 20. Jahrhunderts – die Möglichkeiten und Grenzen einer emotionsorientierten Lyriklektüre erproben; dabei werden wir auch Aspekte wie Schriftbildlichkeit, Materialität und Medialität, Körperlichkeit und Performativität hinsichtlich ihres Emotionalisierungspotenzials prüfen. Die Diskussionen werden um folgende Fragen herumkreisen: Ist „Gefühlsausdruck“ ein gattungskonstitutives Merkmal von Lyrik? Wer fühlt? Gibt es Gedichte ohne Emotionsbezug? Haben Gefühle eine Geschichte bzw. Literaturgeschichte? Ab wann wirkt Stimmungslyrik kitschig? Wie lässt sich vermeiden, dass eine auf Emotionen ausgerichtete Lektüre zum „Brei des Herzens“ (Gumbrecht) zerfließt? Die zu diskutierenden Texte liegen auch übersetzt vor und werden in moodle zur Verfügung gestellt. |