Kommentar |
Als (lebende) Legenden werden heute umgangssprachlich Personen bezeichnet, die es zu Prominenz und Ruhm gebracht hat. Die Textgattung Legende beschäftigt sich mit Berühmtheiten des Mittelalters, mit Heiligen und deren Leben, Sterben und Wunderwirken. Der Titel der umfangreichsten und am weitesten verbreiteten Sammlung deutschsprachiger Legenden des Spätmittelalters, ‚Der Heiligen Leben‘, fasst dieses Erzählprogramm prägnant zusammen. Das zweibändige Prosalegendar entstand um 1400 im Dominikanerkloster Nürnberg und ist in knapp 200 Handschriften und in 33 oberdeutschen sowie in acht niederdeutschen Druckauflagen überliefert. Eine weitere Besonderheit dieses Legendars besteht darin, dass es nicht primär auf lateinische Vorlagen, sondern fast ausschließlich auf deutsche Vers- und Prosalegenden zurückgeht. Legenden sind im deutschsprachigen Raum also weit verbreitet und erfreuen sich offensichtlich großer Beliebtheit. Dafür spricht auch, dass bekannte Verfasser deutschsprachiger Literatur des Mittelalters, wie z. B. Hartmann von Aue, sich produktiv mit legendarischen Stoffen auseinandergesetzt haben. Im SE werden ausgewählte Legenden zentraler mittelhochdeutscher Legendare und verschiedene Formen von Legendendichtungen exemplarisch besprochen und vergleichend analysiert, um einen Überblick über die Vielfalt und den Formenreichtum des Berichtens und Erzählens über Heilige und Heiligkeit zu geben. Dabei richtet sich der Fokus zunächst auf den Heiligen Georg als Gegenstand hagiographischer wie literarischer Texte, um die Vergleichbarkeit zu erleichtern. Im zweiten Teil des Seminars wird dann die Frage nach der variierenden textlichen Ausgestaltung mit der nach den unterschiedlichen Modellen von Heiligkeit im Spannungsfeld von Glaubensstärke und Läuterung verknüpft, indem der historiographisch-theologische, v.a. aber literarische Umgang mit weiteren heiligen Frauen und Männer in deutschsprachigen Texten des Mittelalters in den Blick genommen wird, die verschiedene Typen von Heiligkeit repräsentieren. Neben gattungstypologischen und gattungstheoretischen Aspekten, zu denen auch die Frage nach dem Verhältnis von historischer Wahrheit und dichterischer Ausgestaltung gehört, werden im Seminar auch neuere diskursanalytische und erzähltheoretische Ansätze der Forschung erarbeitet und diskutiert. |