Kommentar |
Der Esslinger Stadtschreiber und Stuttgarter Kanzler am Württemberger Hof, Niklas von Wyle, lässt 1478 eine Sammlung von 18 Übersetzungsarbeiten drucken, die ihn neben Heinrich Steinhöwel und Albrecht von Eyb zum Exponenten des deutschsprachigen Frühhumanismus machen. Er legt damit nicht nur Beispiele einer differenzierenden Übertragungstechnik vor, die darauf zielt, Wort für Wort by dem latin (so nechst ich mocht) [ze] beliben, vmb daz nützit [nichts] der latinischen subtilitet durch grobe tütschung wurd gelöschett; darüber hinaus gibt er Exempel eines neuen literarischen Kanons, der sich an italienischen und antiken Autoren orientiert. Er formiert einen neuen Standard zivilisierter Kommunikation und Konsensbildung und modelliert die urbanitas humanistischer Freundschaftsnetzwerke. Zu jenem Kanon zählen die Novellen 'Euriolus und Lucretia' des Enea Silvio Piccolomini und Boccaccios 'Guiscard und Sigismunda', Lukians Satire 'Asinus' nach der lateinischen Übersetzung Poggio Bracciolinis, zudem diskursive Texte aus dem Spektrum der Ethik, Ökonomik und Politik als den Felder der praktischen Philosophie (wie die 'Epistula de cura domestica', Poggios 'An seni sit uxor ducenda?' oder Petrarchas 'De remediis utriusque fortunae'), häufig in Form exemplarischer Reden und rhetorischer Musterbriefe. Wir werden im Seminar einzelne Übersetzungen analysieren, auf ihre Quellen und Kontexte zurückführen und den Typus der durch Niklas von Wyle entworfenen Ethik zu rekonstruieren versuchen. |
Literatur |
Franz Josef Worstbrock, Art. 'Niklas von Wyle', in: 2Verfasserlexikon, Bd. 6 (1987), Sp. 1016-1035 u. Bd. 11 (2004), Sp. 1052. / Ausgabe: Translationen von Niclas von Wyle, hrsg. von Adalbert von Keller, Stuttgart 1861 (Bibliothek des Litterarischen Vereins; 57), abrufbar unter: http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/BV000915206/ft/bsb10737595?page=7 |