„Feuilleton“ ist seit dem 19. Jahrhundert nicht nur der Name für eine Sparte in der Zeitung, sondern auch das Synonym für kleine Prosaformen, die dort gedeihen, außerdem für eine formbewusste Schreibweise, die einen Kontrapunkt zur reinen Sachberichterstattung setzt. Zu den Theaterkritiken und kurzen Rätseln, die sich in der Rubrik anfangs unter die Annoncen mischen, kommen bald andere Genres wie Briefe, Glossen, Kommentare, Wochenchroniken, Plaudereien, Reiseberichte und Essays hinzu. Ihre Popularität verdanken sie dem Witz, der spielerischen Leichtigkeit und dem stilistischen Eigensinn ihrer Autoren, aber auch der Nahsicht auf das Stadtleben in den Metropolen, dem Sinn für Trends und Moden, der Witterung für Zeitenwenden, die sich in frühen Vorzeichen ankündigen. So wird das Feuilleton zum Experimentierfeld einer Gegenwartsliteratur, die sich mit ihren Prosaminiaturen ans Zeitgeschehen anlagert. Das verschafft ihr nicht nur Freunde, sondern auch zahlreiche Gegner, die den Presseerfolg der kleinen Formen mit Polemik und Geringschätzung quittieren. – Die Vorlesung konzentriert sich auf die Hochzeit des Feuilletons zwischen 1830 und 1930, beleuchtet ausgewählte Spielarten des Stadtfeuilletons in Paris, Wien und Berlin und interessiert sich insbesondere für die Strategien, mit denen Redaktionen und Autoren an der Aufwertung von Rubrik und Genre arbeiten. Exemplarisch behandelt werden Texte von Honoré de Balzac, Heinrich Heine, Daniel Spitzer, Ludwig Speidel, Karl Kraus, Robert Walser, Joseph Roth, Gabriele Tergit, Siegfried Kracauer und Vicki Baum.